Kritik an der neuen staatlichen Haltungs-Kennzeichnung

In Kurzform:

Worum geht es?

Die Einführung der staatlichen Tierhaltungskennzeichnung in Deutschland im Jahr 2023, initiiert von Cem Özdemir und den Grünen, soll Verbrauchenden dabei helfen, Fleisch, Milch und Eier aus tiergerechteren Haltungsbedingungen zu wählen. Doch wie aussagekräftig ist diese neue Kennzeichnung wirklich?

Wir befürchten, dass sie zu ungenau und zu wenig verbindlich ist, um einen tatsächlichen Beitrag zum Tierschutz zu leisten. In diesem Beitrag werfen wir einen genaueren Blick auf die neue Tierhaltungskennzeichnung und ihre möglichen Auswirkungen auf die Landwirtschaft und den Tierschutz in Deutschland.

Weitere Informationen findest Du auf der Website des Bundesministeriums für Ernährung & Landwirtschaft:

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Verbrauchertäuschung vorprogrammiert:

hält das neue staatliche Siegel was es verspricht ?

Im Angesicht der Einführung der staatlichen Tierhaltungskennzeichnung müssen wir leider scharfe Kritik an der Entwicklung und Umsetzung der seit über 10 Jahren geplanten staatlichen Tierhaltungskennzeichnung äußern. Während die Vorgängerregierung noch ein echtes Tierschutzlabel plante, in dem auch Tierschutz wie Transport und Schlachtung kontrolliert wurden, ist der schlussendliche Entwurf derart auf Haltung reduziert, das eine Verbrauchertäuschung und unfaire Bevorteilung von Großkonzernen geprüft werden muss.

Die Bundesregierung suggeriert dem Verbraucher mit der zweitbesten Haltungsstufe „Auslauf/Weide“ ein sicheres Gewissen, das laut Verbraucher- & Tierschutz-Organisationen nicht gegeben ist. Die Skandale der letzten Jahre von kranken Schweinen, welche bis zu 24 Stunden zu den größten Schlachthöfen der Welt gefahren werden, sind nicht nur in den höchsten Stufen der staatlichen Tierhaltungskennzeichnung möglich, sondern werden von diesem staatlichen Label als gut geheißen, da nur die Haltung betrachtet wird.

Aber viele Tierwohl-Pioniere und Handwerksmetzgereien, die freiwillig auf Tiergesundheit, kurze Transportwege und robuste Rassen setzen, werden zum Teil in niedrigeren Haltungsstufen eingeordnet und damit schlechter dargestellt. Der Verbraucher wird falsch informiert, wenn nur Haltung und kein Tierschutz oder Tierwohl berücksichtigt wird.

Unsere Hauptsorge gilt dem Umstand, das einzelne, industrielle Skandalbetriebe mit katastrophaler Tiergesundheit, nun eine staatlich zugesicherte Werbewirkung genießen, die ihnen einen Kosten- und Wettbewerbsvorteil gegenüber den pionierhaften Projekten einbringt, die sich mit mehr als nur den grundlegenden Aspekten des Tierschutzes befassen. Unsere Bedenken untermauern wir mit fünf grundlegenden Argumenten.

I

Verwirrung anstelle von Klarheit

Das neue staatliche Haltungssiegel verstärkt die bestehende Verwirrung im bereits überladenen Markt für Haltungs- und Tierschutzlabels. Statt sich an anerkannten Tierschutzstandards wie denen des Tierschutzbundes oder den allgemeinen Bio-Richtlinien zu orientieren, hat der Staat ein Label eingeführt, das in weiten Teilen mit dem Industriestandard Haltungsform übereinstimmt. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn der Staat eine Initiative ergriffen hätte, um die Vielzahl der Siegel transparenter zu machen.

Das wird durch den Vergleich unserer Tierwohl-Punkte noch deutlicher. Ursprünglich sollte das staatliche Tierschutzlabel nach unserem Maßstab ein Tierwohl von Stufe 7-9 garantieren, was nahe an die Bio-Garantien der Stufe 10+ heranreicht. Jetzt beschränkt sich das staatliche Label jedoch auf die Tierwohl-Stufen 1-4, vergleichbar mit dem Industriestandard Haltungsform. Besonders problematisch ist, dass die Stufen 1-2, die von vielen Tierschutzorganisationen als unzureichend eingestuft werden, im staatlichen Siegel beworben werden dürfen.

Weitere Informationen finden Sie z.B. hier: www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/tierwohl-111.html

II

Versäumnis für umfassenden Tierschutz

Seit Jahren betonen Wissenschaftler und Tierschützer die Notwendigkeit, das Tierwohl um Aspekte der Tiergesundheit zu erweitern, insbesondere angesichts wiederkehrender Skandale um Billigfleisch. In Anerkennung dieser Bedeutung hat die Bundesregierung das Nationale Tierwohl-Monitoring ins Leben gerufen, ein umfangreiches Wissenschaftsnetzwerk, in dem 10 renommierte Universitäten und Institutionen gemeinsam forschen.

Allerdings wurde nur wenige Monate vor Vorstellung des Abschlussberichts dieses Netzwerks die staatliche Tierhaltungs-Kennzeichnung beschlossen. Bedauerlicherweise fokussiert sich diese Kennzeichnung hauptsächlich auf die Haltungsbedingungen und lässt wesentliche Aspekte des Tierschutzes und der Tiergesundheit außen vor. Das staatliche Siegel vermittelt Verbrauchern eine trügerische Sicherheit. Es setzt niedrige Standards und vernachlässigt diverse wichtige Faktoren der Tierhaltung, etwa die Bedingungen für Ferkel, Muttertiere oder die Dauer des Transports zu Schlachthöfen. Dabei wird Konsumenten ein unbegründet gutes Gewissen vorgegaukelt.

Weitere Informationen finden Sie z.B. hier: www.taz.de/Gruen-gefuehrtes-Ministerium-tut-nichts/!5943000/

III

BRICHT KOALITIONSVERTRAG

Das neue Siegel verfehlt die ursprünglichen Ambitionen der Koalition, ein umfassendes Tierschutz-Label zu schaffen, das sowohl Haltung, Transport als auch Schlachtung berücksichtigt. Anstatt dessen liegt der Schwerpunkt fast ausschließlich auf der Haltung, wodurch beispielsweise der Transport zu bedeutenden Schlachtbetrieben Europas zugelassen und Fleischimport aus unspezifizierter Herkunft gefördert wird.

Es herrscht Stillschweigen über die genauen Beweggründe hierfür. Eine plausible Vermutung könnte sein, dass kontroverse Handelsabkommen wie TTIP und ähnliche globale Vereinbarungen der EU es den Mitgliedsstaaten erschweren, Lebensmittelimporte zu regulieren. Die zugrundeliegende Intention könnte sein, Handelspartnerschaften im Gleichgewicht zu halten: während viele Schwellenländer überwiegend Lebensmittel exportieren, sind Industrienationen Hauptexporteure von Maschinen und Technologie.

Wenn dies der Fall ist, scheint es, als würden wir eine nachhaltige Lebensmittelproduktion im Austausch für den Automobil-Export opfern. Unser Ziel ist es nicht, dieses wirtschaftspolitische Vorgehen zu beurteilen, sondern nur die deutschen Landwirte zu verteidigen. Weil „Tierwohl Made in Germany“ scheitert dann nicht an den deutschen Landwirten!

Wir sind uns bewusst, dass solche Kritik an der EU polarisieren kann. Doch deutsche Landwirte und Verbraucher haben ein Recht auf Transparenz. Wenn die aktuelle Tierhaltungskennzeichnung nicht für importiertes Fleisch gelten kann, weil bestehende Handelsabkommen eine Begünstigung von Fleisch aus Tierwohlherkunft verbieten, dann ist eine Demokratie verpflichtet diesen Nachteil zu diskutieren und nicht zu verschweigen.

Weitere Informationen finden Sie z.B. im Buch „Die Freihandelslüge“ von Thilo Bode, Gründer von Foodwatch und Geschäftsführer von Greenpeace.

IV

Haltungskennzeichnugn bei Eiern beweißt fehlenden Erfolg

Die Reduktion des Tierschutzes auf lediglich die Tierhaltung haben weder die Haltungsform noch die staatliche Tierhaltungskennzeichnung erfunden. Bereits 2004 wurde diese Reduktion durch die EU-Gesetzgebung zur Kennzeichnung von Eiern eingeführt. Obwohl diese Gesetzgebung immer wieder als Erfolg dargestellt wird, müssen wir nach fast 20 Jahren ein äußerst ernüchterndes Fazit ziehen. Dies unterstreicht die dringende Notwendigkeit, die staatliche Tierhaltungskennzeichnung für Schweine zu überarbeiten.

  1. Die beinahe 20 Jahre alte Kennzeichnung von Eiern vermittelt den Verbrauchern den Eindruck, dass die Käfighaltung längst abgeschafft ist. Tatsächlich ist die Käfighaltung noch bis mindestens 2027 erlaubt und ihre Produkte werden als nicht kennzeichnungspflichtige Zutaten in Fertigprodukten weiterhin verwendet. Diese Realität wird nicht klar kommuniziert und grenzt an Verbrauchertäuschung.
  2. Die Tatsache, dass eine reine Haltungskennzeichnung das Tierwohl nicht verbessert, wird durch die Bruderhahn-Initiativen des Handels verdeutlicht, die das unvollständige EU-Label erweitern mussten. Selbst in der höchsten EU-Haltungsstufe war das Kükenschreddern erlaubt. Dass es nur noch drei große Schlachthöfe in Deutschland für Legehennen gibt und viele Tiere stundenlange Transporte durchmachen müssen, liegt vor allem daran, dass der reine Fokus auf die Haltung den Tierschutz so stark verwässert hat, dass kleinere Schlachthöfe schließen mussten. Dieses Muster wird durch die staatliche Tierhaltungskennzeichnung auch bei kleinen Schweineschlachthöfen in der Region ausgelöst werden.
  3. All dies nehmen wir in Kauf, um nach fast 20 Jahren festzustellen, dass Boden- und Käfig-Eier immer noch über 50% des Marktanteils halten.

V

Eine agrarwende mit Haltungsfokus wird von bauämtern gar nicht genehmigt!

Die Tierwohlpunkte würdigen über 100 verschiedene Tierwohlkriterien, während sich die staatliche Tierhaltungskennzeichnung stattdessen nur auf drei Kriterien konzentriert: mehr Platz, Frischluft und Auslauf. Ein Fokus kann Vorteile haben, daher möchten wir nicht die Anzahl kritisieren, sondern die Auswahl! Diese drei Kriterien sind nicht beliebig gewählt, sondern tatsächlich die einzigen drei, die strengen Genehmigungsverfahren der Länder und Kommunen unterliegen und heute kaum noch genehmigt werden.

Obwohl Verbesserungen in der TA-Luft und ähnliche Dinge versprochen werden, bleibt die Tatsache, dass der Bund sich nur auf diese drei Kriterien konzentriert, die für Länder und Kommunen die größten Herausforderungen darstellen. Zusätzlich sind dies auch die kostspieligsten drei Kriterien, die ohne enorme finanzielle Belastung nicht umsetzbar sind. Bereits die Prüfung eines Bauantrags zur Verbesserung solcher Kriterien kostet derzeit mindestens 40.000 € und wird höchstwahrscheinlich abgelehnt.

Das bedeutet, dass die übrigen 97 Kriterien, die Landwirte sofort und aus eigener finanzieller Mitteln verbessern könnten – wie Tiergesundheit, robuste Rassen, langsames Wachstum, Stroh als Wühlmaterial, kurze Transportwege zu kleinen Tierwohlschlachthöfen –, laut staatlicher Tierhaltungskennzeichnung keinen Wert mehr haben.

Die einzigen drei Kriterien, die laut staatlicher Tierhaltungskennzeichnung ab sofort noch zählen, sind mehr Platz, Frischluft und Auslauf. Und genau diese drei sind die kostenintensivsten und komplexesten, die ohne Unterstützung von Banken und Behörden nicht realisierbar sind.

Mit einem solchen Ansatz ist eine Agrarwende nicht erreichbar! Die Tierwohlpunkte streben daher den notwendigen Weg an:

  1. Tierwohl ist mehr als nur eine Frage der Haltung – wir erweitern Tierschutz um Tierwohl!
  2. Messung, Überwachung und Anerkennung der Tiergesundheit!
  3. Berücksichtigung einer wachsenden Anzahl von Tierwohlfaktoren – bereits im Jahr 2023 sind es über 100 Faktoren!